Mittwoch, 11. Juni 2008

Wenn wir in die Kindheit zurueckkehren - von der Verwandschaft zwischen "nicht mehr" und "noch nicht"

Bei der Fiesta im Namen der kommenden Generation am vergangenen Wochenende war auch eine Person anwesend, die mir ein wenig zu denken gab.

Eine alte Frau.
Eine sehr alte Frau.

Es war erstaunlich, wie viele der Dinge, die ich mir fuer Maximilian fuer die naehere oder laengerfristige Zukunft erhoffe, bei ihr bereits nicht mehr vorhanden waren. Faehigkeiten und physische Merkmale in erster Linie.
Hier ein paar Vergleiche (ich waehle Maximilian als Beispiel, weil er gerade im entsprechenden Alter ist - dieser Artikel hat nichts mit dem Down-Syndrom zu tun):

Die Frau hatte keine Zaehne mehr - bei Maximilian fangen sie gerade erst an zu erscheinen.
Die Frau hatte fast keine Haare mehr - bei Maximilian fangen sie gerade erst an, vernuenftig zu wachsen.
Die Frau kann nicht mehr laufen - Maximilian noch nicht.
Die Frau kann nicht mehr ohne Rueckenstuetze sitzen - Maximilian noch nicht.
Die Frau kann fast nicht mehr sprechen - Maximilian noch nicht.
Die Frau ist stark geschrumpft - Maximilian im Wachsen begriffen.
Die Frau kann nicht mehr allein essen - Maximilian noch nicht.

Diese Liste liesse sich noch eine Weile fortsetzen.
Werden wir nur aus dem wunderbaren "Zustand" der Kindheit entlassen, um spaeter wieder in ihn zurueckzukehren (wenn die Natur uns alt genug werden laesst)? Eine wahrhaft zyklische bogenfoermige Entwicklung wie etwa ein Puzzle, das wir Stueck fuer Stueck zusammensetzen, nur um es nach Erreichen des Hoehepunktes spaeter wieder auseinanderzunehmen?
Einen Unterschied allerdings gibt es zum Puzzle.
Ich kann es mir auf dem Hoehepunkt konservieren, in einen Rahmen packen und an die Wand haengen. Ich muss es nicht wieder auseinandernehmen.

Diese Option existiert fuer uns Menschen (noch) nicht.
Nicht, wenn es um den Zustand auf dem Hoehepunkt geht.
Und dieser Unterschied wird durch alles ausgemacht, was der Begriff "LEBEN" in sich zusammenfasst.
Wir koennen Leben verlaengern.
Wir koennen tote Koerper konservieren.
Aber der Schluessel zu Tolkiens Reich der Elfen blieb uns bisher verwehrt.

Welchen Zweck soll also unser Dasein erfuellen, wenn es in jedem Falle eine Sackgasse ist (welche die englische Sprache treffend mit dead end bezeichnet)?
Wenn keine Chance darauf besteht, eine "Fortsetzung folgt"-Anzeige zu lesen zu bekommen.
Wie komme ich dazu, mich selbst so wichtig zu nehmen?
Mir Sorgen ueber diese oder jene vergleichsweise Laecherlichkeit zu machen?
So winzig, dass er nicht einmal zu erkennen ist, stellt sich der Punkt "cabronsito" auf der Landkarte und der Zeitlinie selbst des uns bekannten Universums dar.

Nicht auszusterben, zu ueberleben - ist das Zweck genug sogar fuer unser armseliges humanes Verstaendnis, um unsere Existenz zu rechtfertigen?
Triebfeder, Motor und Kraftstoff in einem?

Als Ganzes gesehen, treten wir vielleicht nicht auf der Stelle.
Wissen und Erkenntnis, Schluessel zur Evolution unserer Faehigkeiten, wachsen von Generation zu Generation, in den letzten 100 Jahren mit gigantisch steigender Geschwindigkeit, Quantitaet und Qualitaet.
Und Wissen und Erkenntnis des Einzelnen sind es, die uns mit zunehmendem Alter NICHT verloren gehen.
Und sie sind das Einzige, was wir unseren Kindern an wirklich wertvollem mit auf den Weg geben koennen.

Liegt hier vielleicht die Katze verbuddelt?
Gibt es da vielleicht doch eine hoehere Macht, die aus der Entwicklung unseres Geistes Energie bezieht und uns deshalb ins Universum pflanzte?
Unsere Koerper sind dabei nur notwendiges Uebel, da selbst Geist in irgend etwas verpackt sein muss?
Oder sind wir gar noch unbedeutender? Vielleicht das fuer die hoehere Macht, was fuer uns ein Stueck Schokolade ist, an dem man sich ab und zu labt, ohne dass es aber ueberlebensnotwendig waere?
Oder ist unser gezuechteter Geist vielleicht wie eine Art spirituelles Parfum zu verstehen, welches zwischen den Mitgliedern der hoeheren Macht nicht geruchstechnisch, sondern auf eine Weise, die wir uns nicht vorstellen koennen, wirkt?
Und sind unser Glaube an Goetter, ein Leben nach dem Tod etc. in Wirklichkeit nichts anderes als der notwendige Duenger, um das perfekte perpetuum mobile zu schaffen, dessen Erfindung man uns selbst nicht gestattet?
Sinnfindung und Existenzerklaerung als wichtige Ueberlebensenergien, die uns mit auf unseren Weg gegeben wurde?

Sicher scheint zu sein: In jedem Falle kehren wir dorthin zurueck, woher wir kamen.
Womit wir den Namen der italienischen Hauptstadt im Sprichwort auch mit "Tod" gleichsetzen koennen, wenn es denn immer noch stimmt, dass alle Wege dorthin fuehren.

Diese Rueckkehr trifft, soweit wir es beurteilen koennen, fuer den Einzelnen zu.
Wie aber steht es um unsere gesamte Rasse?
Steht uns noch der groesste Teil unseres Fruehlings bevor oder befinden wir uns bereits im Spaetherbst?

Selbst ein perpetuum mobile hat einen "Aus-" Schalter, an Schokolade kann man sich ueberessen oder ploetzlich Zartbitter anstatt Vollmilch bevorzugen, Parfums kommen aus der Mode und manchmal fressen sich die Maeuse im Laufrad gegenseitig auf.

Gedanken an einem Regentag

 
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