Montag, 2. März 2009

Amy hat Down-Syndrom und darf nicht in den Regelkindergarten. Wie finden wir denn das?

Worum es geht, kann jeder selbst lesen.
Kurz zusammengefasst: Der kleinen Amy wird trotz Befürwortung ihres Arztes Christoph Menze ein Platz im Regelkindergarten verwehrt, weil sie Trägerin des Extrachromosoms ist. Verteidiger der Verweigerungshaltung ist der in Querum / Braunschweig zuständige Sozialdezernent Ulrich Markurth.

Was mich etwas stört, ist die Argumentation des Herrn Markurth.
Ich zitiere:
"Wenn man dieses Kind gleichbehandelt, wird man ihm nicht gerecht, weil es andere Startvoraussetzungen hat und daher mehr Fürsorge benötigt. Und man wird auch den anderen Kindern nicht gerecht, weil sie weniger Aufmerksamkeit bekommen."
Potentielle Probleme mit der Aufsichtsbehörde erwähnt er auch noch. Amtsschimmel, ick hör dir wiehern.
"Es gehe nicht um die Frage von Gerechtigkeit und wie man Eltern gerecht werde, sondern um das Kindeswohl, so Markurth."

Unabhängig davon, ob Herr Markurth tatsächlich daran glaubt, was er sagt, oder ob bürokratische Zwänge ihn dazu veranlassen, zu sagen, was er sagt - ich halte diese Auffassung für falsch.

Ich glaube, dass wichtiger als alles andere für ein in seiner Entwicklung etwas hinterherhinkendes Kind (typische Begleiterscheinung des Down-Syndroms) das Zusammensein mit anderen Kindern ist. Mit "Regelkindern". Aus eigener Erfahrung kann ich behaupten, dass - neben der Ernährungsumstellung, welche für die notwendigen Kraft- und Energiereserven sorgten - nichts wichtiger für den jüngsten Entwicklungsschub Maximilians war als das "Übersiedeln" zu den "normalen" Kindern. Die ausschlaggebende Motivation, voranzukommen! Keine Therapie oder sonstige "mehr Fürsorge aufgrund anderer Startvoraussetzungen" konnte Ähnliches bewirken.

Nebenbei erwähnt, akzeptiert man Maximilian sogar trotz seiner Colostomie (durchtrennter Darm mit zwei künstlichen Ausgängen am Bauch), die eine Menge Extraarbeit bedeutet. Und das in einem Institut (IMSS), in dem sich in Sachen Paragraphenreiterei selbst deutsche Beamte ab und zu noch etwas abgucken können.

Ich wäre also vielleicht etwas vorsichtig, wenn ich in einer solchen Argumentation das Wort "Kindeswohl" in den Mund nähme. Denn das genaue Gegenteil dessen, was Herr Markurth da an Ideen zelebriert, scheint mir der Fall zu sein. Einzig und allein mit Gleichbehandlung (die er offen ablehnt) wäre dem Wohl der kleinen Amy gedient. Und Gleichbehandlung wäre die einzige Art und Weise, um ihr gerecht zu werden.

Und wenn wir es ernst meinen, flüchten wir uns doch bitte nicht mehr in so Haarsträubende Argumente wie jenes, laut dem die anderen Kinder der Gruppe durch Amys Anwesenheit weniger Aufmerksamkeit bekommen würden.

Ohne Frage führen uns diese Fälle unvermeidlich in eine Diskussion über die in langer und mühseliger Arbeit aufgebaute Struktur der modernen "Integration". Ist diese vielleicht der Grund für die starre Haltung so vieler Verantwortlicher? Ist sie vielleicht gar nicht so modern und toll wie viele Leute Leute glauben? Und wenn man erkennt, dass man möglicherweise nicht den besten Weg gegangen ist - ist es so schmerzhaft, die Richtung zu ändern?

"Integration", wie ich dieses Wort mittlerweile hasse. Aber wir wissen, dass wir den Dingen irgendeinen Namen geben müssen.
Die beste und wirkliche "Integration" wäre die, bei der man keinen Namen mehr für sie bräuchte. Lasst Kinder Kinder sein! Trennt sie nicht nach Schwarz und Weiß, trennt sie nicht nach Krank oder Gesund (ansteckende Krankheiten temporär ausgenommen) und trennt sie nicht nach Behindert oder Regel-Durchschnitt-Norm!
Denn genau damit kreiert Ihr die Zweiklassengesellschaft.
Genau damit drückt Ihr ihnen den Stempel "Sonderling" auf.
Genau damit verhindert Ihr eine unglaubliche Bereicherung des Lebens der Regel-Durchschnitts-Norm.
Von Kindesbeinen an.

Liebe Amy, Stephanie und Andreas in Querum!
Ich drücke Euch die Daumen, dass Ihr doch noch zu Eurem Recht kommt.
Nicht, um dem Amtsschimmel die Sporen in die Flanken zu hauen, sondern einzig und allein im Sinne von Amy, ihrer Entwicklung und ihrer Zukunft.
Solidarische Grüße aus Mexiko, denen sich hoffentlich viele Leute anschließen.

4 Kommentare:

Sven hat gesagt…

Was ist denn an integrativen KiTas so schlimm? Habe selbst in einer solchen meine Zivildienst gemacht, und fand das eigentlich ein gelungenes Konzept.

In jeder Gruppe war eine Haelfte "Regelkinder" und eine Haelfte "Integrationskinder" - die Paedagogen waren speziell geschult, kannten sich mit den Symptomen der Kinder aus, wussten wie man Medikamente korrekt verabreicht, Krampanfaelle behandelt, spezielle Defizitbereiche spielerisch foerdert usw. - und das war auch notwendig, denn das Spektrum reichte von Autismus, Blindheit Entwicklungsstoerung, Epilepsie und Down-Syndrom bis zu Autismus und Schwerst-Mehrfachbehinderungen. Ferner gab's verschiedene Therapieangebote vor Ort (z.B. kamen regelmaessig eine Physiotherapuetin und eine Linguistin), an denen die Kinder mit Bedarf teilnehmen konnten.

Tatsache ist nun mal, dass "Special Needs"-Kinder auch spezielle Anforderungen an das Personal stellen, und die Betreuer in integrativen Einrichtungen wissen wenigstens durch Schulungen/Fortbildungen (oft sogar ein sonderpaedagogisches Studium), was Sache ist. Klar kann man argumentieren, dass manche Kinder mit Behinderungen weniger spezielle Fuersorge brauchen als andere, aber wo zieht man die Grenze? Gar nicht?

Letzteres ist meines Erachtens - vor allem mit Blick auf die noetigen Qualifikationen der BetreuerInnen/ErzieherInnen - schwer durchfuehrbar, und daher sehe ich auch durchaus eine Berechtigung in der Haltung des Herrn Markurth.

Damit mag ich mir jetzt hier keine Freunde gemacht haben, aber ich spreche aus eigener Erfahrung. Und wie gesagt: Es gibt auch in den meisten integrativen Einrichtungen Regelkinder (deswegen ja 'integrativ').

Anonym hat gesagt…

Sven, ja, schlecht sind die Kindergärten nicht. Aber zum Beispiel werden sie in Wiesbaden abgeschafft. Dort gilt der Grundsatz dass kein Kind abgewiesen werden darf aufgrund seiner Behinderung. Dafür werden je nach Bedarf I-Kräfte gestellt. Geht natürlich am besten mit Kindern deren Betreuungsbedarf sich in Grenzen hält und je nach Einrichtung. Schwerstbehinderte Kinder sind z.B. bei meinen Mädels im Kindergarten nicht schaffbar. Aber Kinder wie Amy sind eine wunderbare Bereicherung und der Extra-Bedarf ist gut über eine I-Kraft machbar.
Um zum Thema zu kommen - ich finds doof ... kann aber je nach Kindergartenpersonal die Entscheidung irgendwo nachvollziehen. Auch wenn das nicht entschuldigen soll.

Liebe Grüsse
Martina

Anonym hat gesagt…

In Spanien sind die Kinder nicht getrennt, und fast 90 prozent der Kinder mit DS schaffen die Grundschule mit den anderen Kinder, ihren Freunden. Sie bekommen extra Nachhilfe, wenn sie es brauchen und wenn nötig müssen die Schulen Leute einstellen, die sich um sie kümmern (Krankenschwester usw.) Sie sind glücklich und habe die extra, so unglaublich positive Herausforderung ihre Zeit mit den anderen Kinder zu berbringen. Ich finde es so schrecklich in Deutschland, dieses Apartheid-System in den Schulen. Nicht nur verpassen Kinder mit DS die Möglichkeit, mit den anderen Kinder zu sein, sondern verpassen auch die "normalen" Kinder, die schöne Erfahrung mit Kinder zu sein, die "ein bisschen anderes sind".

Sven hat gesagt…

Ein Interview zum Thema heute hier.

 
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