Mittwoch, 4. Juni 2008

Sie sieht mich einfach nicht

Jedes Mal, wenn ICH SIE sah, rutschte mir die Blutpumpe in die Pampers.
So ging das ueber Wochen, ja Monate, tagein, tagaus.
Wie koennte ich mich ihr naehern?
Selbst im regulaeren 16-Uhr-Tagtraum, in dem ich mir jeden Tag eine andere Situation ausmalte, wie dies passieren koennte, blieben mir die Worte in der Speiseroehre stecken - gleich neben der Fruehstueckstorte, die auf diesem Weg wieder hinauswollte.
Vom wackelpuddingartigen Zustand meiner Dinger, die man uns Menschen zwischen Schienbein und Oberschenkel installiert hat, nicht zu reden. Wie gut, dass ich beim Tagtraeumen sitze oder liege.

Nachdem ich in akribischer Detektivarbeit ausspioniert hatte, dass sie jeden Morgen in dieses Café ging, in dem der Cappucchino besonders schaumig wird, da sie dort Mineralwasser fuer die Zubereitung benutzen, war mir klar, was ich zu tun hatte.
Der Plan war einfach und genial.
Wie ein echter caballero wollte ich ihr die Tuer des Cafés aufhalten. Bei ihrem Dankeslaecheln waere dann der Moment gekommen, mit eben jener Tuer ins Haus zu fallen: "Ichbindercabronsitoeinechtklassetypundichfindedichauchklassewieheisstduwowohnstduundfruehstueckenwirmorgenbeidiroderbeimir?"

Gedacht, getan.
Am entscheidenden Morgen postierte ich mich also in der Naehe des Eingangs zum Café, meinen Garderoben-Ganzkoerperspiegel dezent bei mir, damit ich ihre Ankunft beobachten konnte, ohne sie direkt anzusehen.
Und da kam sie.
Aus der anderen Richtung.
Weshalb ich sie erst im letzten Moment erkannte, so am Spiegel vorbei.

Ich liess den Spiegel fallen, drehte mich um und wetzte zum Eingang - auf das hinter mir stattfindende Geschepper und Geklirre achtete ich genausowenig wie auf das darauffolgend einsetzende Schmerzgeheul.
Ich spuerte, dass sie direkt hinter mir war.
Die Tuer ging auf - ich hielt sie auf.
Die automatische Schiebetuer.

Sie begleitete mich dann ins Krankenhaus, wo meine gebrochene Hand behandelt wurde.
Und ihr gebrochenes Bein, nachdem sie ueber mich gefallen war.

Gesprochen hat sie nicht mit mir.
Aber einen langen Brief geschrieben. Etwas spaeter. (Meine Adresse hatte sie beim Krankenhauspersonal erfragt.)
Einen Brief voller liebestoller Worte wie "Schadenersatz", "Idiot", "Versicherung" und so weiter.

Seit dieser hundertprozentig erfolglosen Aktion lebe ich zurueckgezogen in einer Hoehle und habe sogar angefangen zu bloggen.
Das Detektivspielen gab ich auf.
Eine Garderobe habe ich nicht mehr, um einen Spiegel hineinzustellen.
Und die Tagtraeume habe ich abgeschafft, da ich den Albschweiss am Nachmittag nicht vertrage.

Aber ein Trost bleibt mir: Am Ende hat sie mich doch gesehen!

 
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