Es muss gegen 15 Uhr am gestrigen Freitag, 5. Juni 2009, gewesen sein, als in der mexikanischen Stadt Hermosillo ein im benachbarten Lagerhaus ausgebrochenes Feuer auf die Kinderkrippe "ABC" des IMSS übergriff.
Was genau passierte, wird zu klären sein und es werden viele, viele Fragen beantwortet werden müssen. Nicht nur im IMSS in Hermosillo, sondern in sämtlichen Institutionen des ganzen Landes.
31 Kleinkinder fanden den Tod.
Kinder unter 5 Jahren.
Nicht grundlos wird dieser Freitag als der schlimmste Tag in der Geschichte der Stadt Hermosillo - deren Name sich von "hermoso" (wunderschön) ableitet - in die Annalen selbiger eingehen.
Die Situation ist war so grausam, dass man kaum Worte findet. Vielleicht gibt das Video ein wenig Auskunft darüber.
Zwischen 15 und 17 Uhr ist in Mexiko die typische Zeit, zu der Kinder aus ihren Tagesstätten abgeholt werden. So kamen viele Eltern - vorwiegend sind es die Mütter - völlig unvorbereitet zum Ort des Geschehens. Von Chaos ist die Rede, da zu jenem Zeitpunkt niemand wusste, was genau geschehen war. Verschlimmert wurde dieses Chaos noch durch die katastrophale Fehlorganisation - Notfall-vorbereitende Fehlorganisation.
Viele der Kinder waren in Krankenhäuser eingeliefert worden. Die meisten dieser Kinder sind noch nicht in der Lage, sich selbst zu identifizieren, und jemanden, der die Übersicht über die Evakuierung zu behalten versuchte, scheint es nicht gegeben zu haben. So konnte vielen Eltern erst einmal keine Auskunft gegeben werden, weil man schlichtweg nicht wusste, ob sich das jeweilige Kind unter den Geretteten und falls ja, wo es sich befand.
Präsident Calderón hat seine Agenda für heute modifiziert.
Am Nachmittag wird eine Pressekonferenz mit ihm erwartet, eine Rede an die Nation, bei der es um dieses Thema geht.
Selbstverständlich wird dieses Thema heftigst politisiert werden, denn in Mexiko stehen Wahlen bevor. Die Schlammschlacht, die längst wieder begonnen hat, wird vor dieser Tragödie kaum Halt zu machen in der Lage sein. Bleibt zu hoffen, dass man dabei nicht völlig den Respekt vor den Betroffenen verliert.
Wie wir wissen, besteht der (nicht nur) mexikanische Wahlkampf der modernen Zeiten darin, aufzuzeigen, wie schlecht doch alle Anderen sind, anstatt zu belegen, wie gut man selbst ist - um es mit simplen Worten auszudrücken.
Tote Kinder sind also geradezu ein gefundenes Fressen für alle, die sich auf irgendeine Art und Weise aus der Verantwortung für die Geschehnisse in Hermosillo lügen können; und gleichzeitig Munition gegen diejenigen, die dies nicht tun werden können.
Der Finger gehört wieder einmal auf die klaffende Wunde in Mexikos debilem politischen Körper gelegt: Korruption, Misswirtschaft & Co.
In einem Land, in dem immer noch selbst die mit der größten Verantwortung behafteten Posten nicht nach Befähigung vergeben werden, sondern nach einer persönlichen Vorzugsliste des jeweiligen Oberhäuptlings ... in einem Land, in dem immer noch Unmengen an Geldern oder Sachwerten, die der Konstruktion, Sicherheit, humanitären Hilfe oder was auch immer zugedacht sind, auf "unerklärliche" Weise verschwinden (und zu selten wird entdeckt, zu wenig wird bestraft) ... in einem solchen Land müssen über kurz oder lang solche Katastrophen passieren.
Eine Bürokratie vortäuschend, die mit der jeden Landes dieser Welt Schritt halten kann, versucht man, Türen zur Realität verschlossen zu halten.
Aber es handelt sich um nichts weiter als eine Papierbürokratie. Genehmigungen werden erteilt, ohne dass die Voraussetzungen erfüllt werden. Immer wieder kommen so geartete Fälle ans Tageslicht. Eine kleinere oder größere Handvoll Scheine sorgt für die notwendige Aktivität der Hand des Gegenübers. Der Hand, die den Kugelschreiber hält. Und nach der Unterschrift den entsprechenden Fall in den Akten so aussehen lässt, als wäre alles in Ordnung.
Und somit eine große Mitverantwortung trägt.
Denn es ist ist schwer zu glauben, dass es sich beim Fall ABC Hermosillo um einen unglücklichen Zufall handelt. Zu viele Punkte sprechen dagegen. Unter anderem der, dass ein Teil der Konstruktion der Kinderkrippe aufgrund mangelnder Bauweise und Materials eingestürzte. Von der fehlenden Organisation im Falle eines Feuers nicht zu reden.
Es werden wie immer die schwächsten Glieder der korrupten Kette sein, die brechen werden. Ein paar Namen genannt, ein paar Leute bestraft, und die Schweinerei kann weiter gehen.
In den letzten Tagen ist in Mexiko eine Debatte darüber entbrannt, wie man mit der Politikverdrossenheit - welches ein viel zu harmloses Wort ist - umgehen sollte. Viele Leute plädieren für ein massenhaftes Ungültigmachen der Stimmzettel (kein Feld oder mehr als ein Feld ankreuzen). Andere wiederum sagen, dies sei keine Lösung, man solle besser "Strafwählen". Und das wieder und wieder und wieder ... bis die großen politischen Parteien begreifen, dass es so nicht mehr geht.
Das Problem hierbei ist, dass auch das mexikanische Wahlsystemsystem dermaßen von Korruption durchsetzt ist, dass es eher wie ein Wunder wirken würde, wenn es jemand schaffen sollte, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Den betroffenen Eltern und Familien in Hermosillo hilft das alles wenig.
Sie haben ihre Kinder, Nichten, Neffen, Enkel und Geschwister verloren.
Und ihnen sollte die ganze Aufmerksamkeit, das ganze Mitgefühl gelten.
Nicht von ein paar scheinheiligen Schmarotzern, sondern von der Bevölkerung des Landes Mexiko und auch des Auslands.
Nun ist aus diesem Artikel eher eine mit Wut geschriebene politische Abhandlung als ein sachlicher Bericht geworden. Der Autor bittet um Verständnis. Nicht zuletzt deswegen, weil sein eigener kleiner Sohn eine dem IMSS angeschlossene Kinderkrippe besucht.
Samstag, 6. Juni 2009
Wenn das Unvorstellbare geschieht - Brand in Kinderkrippe ABC in Hermosillo, Sonora, Mexiko mit Video
um 11:06
Labels: Katastrophen, Mexiko, Politik Mexiko, Ratten, Video, Warum?
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2 Kommentare:
Was erwartet man in einem Dritte-Welt-Land wie es Mexico ist?
Klar, jetzt werden wieder Mexicaner (vor allem im Ausland) aufheulen, man wäre unfair dem Land gegenüber; Mexico sei nicht Deutschland; Mexico ist wegen seiner Kolonialzeit immer noch so; und anderes Ausreden-Blabla.
Tatsache ist jedoch, dass dem mexicanischen Volk als solches ihr eigenes Land am Hintern vorbeigeht. Während es mir gut geht (und meiner direkten Familie), kann das Land, die Gesellschaft ruhig vor die Hunde gehen. Was geht mich das an?
Korruption, Kriminalität und impunidad, falsch verstandene Toleranz, unvorstellbar ungerechte Verteilung des Reichtums, Gleichgültigkeit den anderen gegenüber, das "Cangrejo mexicano"-Verhalten - das alles ist das, was Mexico über kurz oder lang den Garaus machen wird.
Furchtbar. Und im Hintergrund die Vetternwirtschaft und Korruption: http://hazmeelchingadofavor.com/index.php/2009/06/08/negligencia-de-los-oligarcas/
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