Wenn ich mit meinen dreieinhalb Jahren "Sildenafil" - vom Medikamentenkonzern Pfizer unter dem Namen "Viagra" auf den Markt gebracht - täglich zu mir nehme, dann könnt Ihr Euch vorstellen, dass etwas im Busch ist.
Seit wenigen Tagen mehr als nur im Busch, denn nach monatelangem Chaos kann ich Euch nun verkünden, dass gestern, heute oder morgen in zwei Wochen mein Herz operiert werden wird (wenn nicht noch Krankheit oder anderes Ungemach dazwischen kommt).
Ich habe vorher nichts davon erzählt, da uns die Erfahrung gelehrt hat, dass uns eine große Enttäuschung nach einer großen Hoffnung allein im engsten Kreis schon genug zu schaffen macht. Und so toll herzliche Anteilnahme auch ohne Frage ist, meint Papi, dass die Nachfragen vieler, vieler lieber Leute im Falle einer Enttäuschung diese eher noch schlimmer macht. Ergo: Wer von nichts weiß, kann auch nicht nachfragen.
Aber der Reihe nach .... so gut es geht:
Vor einer ganzen Reihe von Monaten bekamen wir einen Anruf. Das "Patronato Corazón Amigo" würde in Zusammenarbeit mit dem "Hospital Cardiológica" Aguascalientes eine bestimmte Anzahl kostenloser Herzoperationen zur Verfügung stellen. Wenn wir interessiert wären, sollten wir uns bitte dann und dann zu einem ersten Kennenlerntermin einfinden. Was wir taten. Ich landete als Kandidat in den Listen. Und das Chaos nahm seinen Lauf.
Jede Menge Untersuchungen. Klar. Die sind notwendig. Ich blieb ein Kandidat. Es wurden bereits ungefähre erste OP-Termine genannt.
Dann kam es zur ersten Verschiebung. Leute vom Patronato müssten dieses und jenes sehen. Aber keine Bange, nur eine Verschiebung. So ging es weiter, ich blieb ein Kandidat.
Die Zeit ging ins Land, plötzlich hieß es wieder: Echokardiogramm.
Geschickterweise so organisiert, dass alle verbliebenen Kandidaten am selben Tag zur selben Uhrzeit bestellt wurden. Da Papi das nicht wusste, kamen wir nur etwa 15 Minuten vor diesem frühmorgendlichen Termin an und waren damit so ziemlich die Letzten (von wegen Unpünktlichkeit in Mexiko!!!), was bedeutete, dass die vollziehende Frau Doktor mich gerade noch so vor ihrer Mittagspause (zeitlich betrachtet nach mexikanischen Gepflogenheiten) auf ihren Tisch neben dem bunten Monitor bat.
Die Zeit war nun aber wirklich kein Problem.
Ein Problem war, dass bei dem Echo festgestellt wurde, dass der Druck in einer meiner Herzkammern etwas höher als der Normaldruck war. Zu hoch, um operiert werden zu können. So ein Mist!
Aber, oh Wunder ... ich blieb ein Kandidat!!!!!
Denn fuer solchen Überdruck gibt es zwar nicht unbedingt Ventile, aber es gibt pulmonal-arterielle Gefäßwiderstandsbrecher. Und um diesen Widerstand in meinem Inneren zu brechen, kam oben genanntes Produkt auf dem Hause Pfizer ins Spiel.
Da ich ein Kind bin, noch dazu ein kleines, brauche ich natürlich nicht die volle Ladung. Zwei Mal pro Tag ein Viertel einer solchen blauen Pille lautet mein Rezept. Habt Ihr schonmal versucht, eine Viagra-Pille zu vierteln? Im Wissen, dass jede einzelne der Pillen etwa 200 Peso (ungefähr 12,30 Euro) wert ist?! DARAUF hätte Papi mal mit der Videocam halten sollen.
Immer wenn Papi versucht hat, mal ein misslungenes Viertel zu stibitzen, gab's von Mami was auf die Finger. Aber das war erst, nachdem ich anfing, das Zeug überhaupt zu nehmen. Denn in dem Moment, als ich anfangen sollte, Viagra in mich zu stopfen .... die ersten drei Schachteln mit jeweils 4 Tabletten lagen bereit .... schlug jemand anderes zu. Herr Windpocker nämlich. Wow!
Eine Woche zu Hause bei Papi, das war toll. Und weil ihm irgendjemand jede Menge alternativmedizinische Tipps anvertraut hatte, kam ich in den Genuss von jeder Menge aufblasbarem Swimming Pool und vielen anderen Dingen. Die stürmischen Pocken nahmen auch wirklich einen Super-Verlauf und heilten hervorragend ab .... nur Viagra, das ging nicht in der Zeit. Puuuhhh. In der Zeit, die so langsam zu rennen begann.
Aber ich war noch immer ein Kandidat.
Sobald von den Doktoren der hohe Viagra-Daumen kam, legte ich los wie ein 95-jähriger Playboy mit eigenem Penthouse. Und es behaupte niemand, Viagra wäre wirkungslos! Zumindest wenn es um Überdruck geht - zum Unterdruckproblem kann ich bisher nichts sagen.
Festgestellt wurde die deutliche Verbesserung vor etwa zwei Wochen.
Und vor etwa einer Woche kam ein erneuter Anruf.
Ich bin jetzt kein Kandidat mehr .... wurde mir da mitgeteilt.
Ich bin jetzt eines von 5 ausgewählten Kindern, die operiert werden (wenn eben nicht noch Dieses oder Jenes dazwischen kommt).
So richtig fassen kann ich das noch nicht.
Und das Chaos hat jetzt erst so richtig begonnen.
So gut wie jeden Tag werden jetzt Tests gemacht.
Seit vorgestern bis zum 30. August muss ich außerdem 10 Leute finden, die bereit sind, Blut fuer mich zu spenden. Bis zu diesem Moment haben bereits 3 Blut gelassen. An dieser Stelle kurz: kein kleines, sondern ein riesengroßes Dankeschön an alle Leute, die ohne Wenn und mit noch viel weniger Aber bereit waren, sich fuer mich den Blutzapfhahn anlegen zu lassen, aber in diesem Fall aufgrund der lokalen Beschränkung der Aktion nicht helfen können!!!!!!!!!!!
Die OP wird am 1., 2. oder 3. September 2010 stattfinden.
Man wird mir dabei nicht den Brustkorb zerschmettern, sondern die notwendige Korrektur wird via Hauptvene vollzogen werden. Soweit ich es verstanden habe, wird das Ding, welches das Loch in meinem Herzen stopfen soll, regenschirmartig zusammengefaltet am Ende eines langen Drahtes befestigt und in eine Hauptader (die zu meinem kaputten Herz führt) eingeführt und durch diese Ader in Richtung Herz transportiert werden. Dort angekommen wird ein wenig herumgefummelt werden, bis das Ding korrekt in dem Loch sitzt. Bereit zum "Aufspannen des Regenschirms"....
Ok, ich will da jetzt nicht noch weiter ins Detail gehen, denn es handelt sich immerhin um mein Herz und nicht um Papis Auto, bei man mal schnell einen Draht in irgendeinen Schlauch schieben kann.
Eine Sache will ich noch erzählen.
Nachdem die Entscheidung gefallen war, dass ich kein Kandidat mehr bin, wurde ich zu einer Pressekonferenz gebeten. Ich ging hin und drei der 5 Kinder, die operiert werden, waren auch da. Bei dieser Pressekonferenz ging es unter anderen Dingen darum, dass die Supermarktkette "OXXO" dem Patronato einen Scheck überreichte. Einen Scheck über knapp 200.000 Peso. Resultierend aus der Aktion "Redondeo" (Aufrunden).
Warum ich dies erzähle?
Ganz einfach.
Es gibt nach wie vor unwahrscheinlich viele Gerüchte bezüglich Hilfsaktionen wie eben zum Beispiel dieser - man wird in Mexiko oft an einer Supermarktkasse gefragt, on man nicht gern einen Centavo-Betrag dieser oder jener Aktion zugute kommen lassen würde.
Was auch immer dahinter stecken mag, was auch immer hinter den Kulissen vorgehen mag: WAS DABEI HERAUSKOMMT, IST FUER DIE BETROFFENEN WIE DAS GESCHENK IHRES LEBENS!
Donnerstag, 19. August 2010
Warum ich als Kleinkind Viagra nehme
um 12:05
Labels: Aguascalientes, Behinderung, Down-Syndrom, krank, Liebe, Maximilian, Medizin, Mexiko, storytellers
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8 Kommentare:
aufgrund der lokalen Beschränkung der Aktion
Ich nehme an, Du meinst damit, dass man sich in Aguascalientes entsaften lassen muss?
Ja.
Oh, prima! Aguascalientes! Wer fährt, Andreas, Du oder ich?
;-)
Vielleicht gibt es heute einen groesseren Schub an Spenden. Das Problem ist einfach, dass zu viele Leute nicht akzeptiert werden. :-(
oh das ist soooo schön, wieder von euch zu lesen! toi toi toi und tja schade, dass das mit der blutpipeline von hier aus nicht geht...
herzliche Grüße, Natascha & Co
Ein staunender Gruss aus der Schweiz. Die "herzlichen" Details kommen mir sehr bekannt vor!
Bitte lass es uns "hier drüben" wissen, wann genau wir Daumen drücken sollen.
Alles Gute
Gabriela
Herzlichen Glückwunsch, dass das jetzt doch alles klappt. Ich drücke Euch alle Daumen und wünsche Euch alles Gute, auf dass Max ganz schnell wieder auf die Beine kommt.
Herzliche Grüße, toi toi toi!
Herdis
Ich drücke euch von hier aus die Hufe, dass alles wie am Schnürchen klappt!!!
LG
Sphynx
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